Verwahrung als zweischneidiges Schwert
Banken sind Verwahrer von Kundengeldern und Kundendaten. Diese Rolle stellt im heutigen Geldsystem einerseits ein Privileg dar, das vor Disruption schützt. Im Projekt-Alltag der IT-Abteilungen führt die Rolle aber zu erheblichen Aufwänden, um ihr regulatorisch, prozessual und administrativ Rechnung zu tragen. Ein hoher Anteil des IT-Budgets liesse sich einsparen, müssten Banken ihre Daten und Gelder nicht so gut schützen. Wie innovativ wäre Banking, wenn Daten-Ownership und Verwahrung ausgelagert werden könnte? Und was, wenn sich das Bezahlen in alle digitalen Prozesse integrieren liesse, ohne auf Drittparteien angewiesen zu sein?
Damit wären wir bei Lightning. Das Smart-Contract Protokoll bedient sich der kryptographischen Sicherheit der Bitcoin-Blockchain zur Verfahrung und Sicherung von Geldern. Mit dem private key können Zahlungen signiert werden. Die seed phrase mit ihren 12- bis 24 Wörtern genügt für die Verwahrung von Vermögen jeglicher Grösse.
Bei Lightning kommt noch hinzu, dass die Datenbank der Node gespeichert und das Passwort verwaltet werden muss. Eine Lightning Wallet ist eine «hot wallet», da sie übers Internet erreichbar ist. Daher sollte man sie wie ein Kontokorrent behandeln und grössere Beträge auf die Blockchain transferieren (= cold storage). Diese Aufgaben kann zwar ein Custodian übernehmen, doch damit wäre das Ziel der Auslagerung der Verwaltung von Vermögen und Daten verfehlt.
Welche Services bieten sich nun mit diesem souveränen Setup?
Fintech 2.0
Nehmen wir als Beispiel die Smartphone App Zeus Lightning. Die App lässt sich mit einem selbst betriebenen Lightning Node über das TOR-Netzwerk verbinden. Dann können Zahlungen getätigt und empfangen sowie die Node verwaltet werden. Für Browser gibt es ähnliche Tools wie RTL. Zeus hat zu keiner Zeit Zugriff auf Kundengelder und -Daten. Die App bietet bloss eine Software zur Selbstverwaltung. Diese hat längst nicht die Vielfalt an Funktionen einer Banking App. Aber wer weiss was kommt? Denn das Entwickler-Team kann sich komplett darauf fokussieren, Software für einfache Interaktion mit dem Lightning Netzwerk zu entwickeln. Es hat gar keine Kundengelder oder -Daten, die es schützen müsste.
Bei Sphinx Chat ist das Bezahlen friktionslos in alltägliche Prozesse integriert. Wie der Name andeutet, handelt es sich eigentlich um eine Social Media App mit Gruppen («tribes») und Chat-Funktion. Nutzer sind anonym über das Lightning Messaging-Protokoll verbunden und können völlig unzensierbar kommunizieren. Vordergründig werden Texte, im Hintergrund aber Lightning-Micropayments ausgetauscht. Schöner Nebeneffekt: Alltagsnutzer merken die kleinen Zahlungen gar nicht, sie verhindern aber Spam.

Via Sphinx lassen sich alle Arten von Medien monetarisieren, indem sie mit einer Lighting-Paywall versehen in einer Gruppe gepostet werden. Adult Entertainment könnte diese Plattform nutzen, da gerade diese Branche stark unter den Kosten und Hürden der Kartenwelt leidet. Die Nutzung von Sphinx beschränkt sich aktuell noch auf Bitcoin-Nerds. Grundsätzlich könnte Sphinx eine Super-App der Zukunft sein, da sich Anwendungsfälle von Social Media über Einkäufen bis hin zu Online-Dienstleistungen über das Lightning-Protokoll monetär abwickeln lassen. Sphinx hat zu keiner Zeit Zugriff auf ausgetauschte Inhalte, Vermögen oder Nutzerdaten.
Breeze ist eine weitere Super-App. Sie vereint das Senden und Empfangen von Geld, ein einfaches Point-of-Sale-System sowie einen Podcast Player. Via Breeze können Podcasts pro Minute bezahlt werden. Podcasts sind ein guter Startpunkt für pay-per-use und das Streaming von Mikropayments, gerade weil Podcaster selten exklusive Verträge mit grossen Plattformen haben. Auf der anderen Seite gibt es wenig Anreize für Zuhörer, da die meisten Podcasts auch auf Spotify und Co. zu hören sind. Künftig könnten auch zum Beispiel Video-Streams für Fussballspiele via Lightning monetarisiert werden. Kein aufwendiges Hinterlegen der Kreditkarte, kein Abo mit lauter Partien, für die ich keine Zeit habe, keine Bindung, keine Gefahr, dass die Karte von unlauteren Händlern mehrfach belastet wird. Ich bezahle nur solange ich fernsehe. Plus: 100% der Erlöse gehen an den Verein. Lightning alleine wird das nicht automatisch ermöglichen. Doch zumindest aus Payment-Sicht spricht nichts mehr dagegen.

Alby ist eine Browser-Extension, die mit einer Wallet verknüpft werden kann. Sie erkennt, wenn auf einer Webseite Lightning-Invoices eingebettet sind. Diese müssen dann bloss noch per Klick bestätigt, nicht mehr mit dem Smartphone abgescannt werden. Für Betreiber von Webseiten ist das sehr nützlich: noch nie war es so einfach, Zahlungen aus der ganzen Welt zu empfangen.
Lightning kann auch helfen, die unzähligen Passwörter im Internet zu ersetzen. Alby und andere nutzen lnurl-auth, ein Protokoll zur Authentifizierung im Web mit der Lightning-Wallet. Der börsennotierte US-Konzern Block (ehem. Square) des Twitter-Gründers Jack Dorsey investiert ebenso massiv in die Bereiche Decentralized Identidy und Authentication auf Basis von Bitcoin und Lightning.
Authentifizierung, Identifizierung, Medienkonsum, Monetarisierung jeglicher Inhalte, friktionsloses Bezahlen. Und all das auf der Basis individueller Kontrolle über Vermögen und Daten. Bitcoin Lightning ist nicht allzu komplex, doch es ist ein potentiell mächtiges Fundament neuer Anwendungsfälle. Dabei steht es noch am Anfang. Die genannten Apps werden von kleinen Startups betrieben, die alle weniger als 100 Mitarbeitende zählen. Wie nützlich kann Lightning sein, wenn noch mehr grosse Technologie-Firmen wie Block oder Fintech-Legenden wie David Marcus investieren?
Embedded Lightning Finance
Die Innovationskraft von Fintech 1.0 ist begrenzt. Mit jedem Update (lese «Erhöhung») der Revolut Gebühren wird klarer, dass es schwer ist, auf den antiquierten Infrastrukturen wirkliche Revolutionen im Zahlungsverkehrs zu erreichen. Revolut muss diese Infrastruktur mit bezahlen und überdies grosse Compliance-, Meldewesen- und Security-Abteilungen finanzieren. Das Core Banking von Revolut ist wohl effizienter als das vieler etablierten Banken. Doch es braucht eben auch noch ein Core Banking mit all der Komplexität, die damit einhergeht.
FinTech 2.0 muss auf Krypto Rails laufen, ansonsten wird es gar nicht laufen. Mit der nativen Einbettung von payments in alle digitalen Prozesse wird das Modell der vertikal integrierten und horizontal diversifizierten Bank durch horizontal integrierte und spezialisierte Fintechs herausgefordert. Die Kundenschnittstelle wird von Unternehmen besetzt, die Services im Backend zusammenführen. Sie werden sich durch Convenience, Usability und unterschiedliche Anwendergruppen differenzieren.
Diese Entwicklung ist bereits im Gange. Greenlight von Blockstream und das Lightning Development Kit (LDK) von Spiral sind Beispiele für Backend-Services, die von verschiedenen Wallet-Entwicklern genutzt werden. Beide abstrahieren die Komplexität der Integration des Lightning Protokolls. Künftig wird es weitere Dienstleister für einzelne Use Cases geben. Man denke an Finanzierung-as-a-Service, Käuferschutz-as-a-Service, Forderungsmanagement-as-a-Service, Verwahrung-as-a-Service, Buchhaltung-as-a-Service uvm.

Für Fintechs, die heute bereits eine hohe Nutzerbasis haben, sind dies attraktive Aussichten. Apple Pay wurde bereits als Disruptor erwähnt. Die Kontrolle über die Hardware ermöglicht es Apple, die eigene Lösung prioritär zu positionieren und ihr einen Vorteil in Sachen Bequemlichkeit zu sichern. Der Konzern ist aktuell auf ein Legacy-System angewiesen, da er das regulatorisch einschränkende Geschäft als Verwahrer / Bank scheut.
Zug um Zug könnte sich Apple dieser Strukturen entledigen. Schon absehbar ist, dass die Acquirer durch Software-Terminals auf Apple-Geräten unter Druck gesetzt werden. Künftig kann Apple mit Lightning-Wallets kooperieren, indem diese als Zahlungsmethode in Apple Pay provisioniert werden. Nutzen Zahler und Empfänger ein Apple-Gerät, ist weder Acquirer noch Scheme oder Issuer involviert. Eine Revolution, von der Kunden wohl gar nichts merken würden. Im eCommerce kann via QR-Code oder automatischen Freigaben bezahlt werden. Stationär scheint die NFC-Schnittstelle vielversprechend. Schon gibt es ein Bitcoin-Unternehmen, das global Lightning-Prepaid-Bezahlkarten vertreibt.

Payments sind hier nur der Anfang. Weitere Use Cases wie Asset-Issuance, Decentralized Exchanges und Stablecoin-pegging sind teilweise bereits möglich. Apple Pay kann diese Services über einen eigenen App-Store zur Verfügung stellen und so das bekannte Apple-Universum expandieren.
Fazit
Gerade in Zeiten, in denen die Zweifel an «Krypto» laut werden, sollte der Fokus auf der Identifikation des wahren Potentials liegen. Abseits der bekannten Aspekte wie der deterministischen transparenten Geldpolitik liegt dieses bei Lightning meiner Meinung nach in den genannten Aspekten:
- Trennung von Verwahrung und Finanzdienstleistung mit der Möglichkeit, seine eigene Bank zu betreiben
- Internet-nativer Token mit atomic settlements
Lightning ermöglicht eine innovativere Fintech-Branche, bessere Dienstleistungen, weniger Friktionen, mehr Inklusion, geringere Kosten sowie höhere individuelle Freiheiten und Privatsphäre. Fintech 2.0 auf Lightning wäre ein potenter Gegenentwurf zu den Super-Apps aus China, bei dem der Datenschutz und individuelle Rechte gewahrt blieben.
Schlusswort
Das Hauptziel dieser Serie war es, ein Fundament zu legen, um diese Potentiale und Chancen besser zu verstehen und einzuschätzen. Die künftige Rolle und «der Erfolg» von Lightning hängt von allzu vielen Faktoren ab. Klar ist jedoch: Lightning ist ein seriöses Projekt, welches im Marketing-Sturm für zum Scheitern verurteilte Security-Token zu wenig Gehör findet.
Betrachtet man seine Eigenschaften als Payment-Infrastruktur, bietet es einige interessante Vorteile und Alternativen im Vergleich mit dem Swift-Korrespondenzbanken-System. Das Schicksal von Lightning hängt an Bitcoin. Sollte Bitcoin keine globale Adoption finden, ist Lightning als Layer 2 obsolet. Lightning ist nur im Kontext von Bitcoin sinnvoll. Doch so bietet es auch einen Nutzen, der nicht kopiert werden kann. Lightning nutzt die Vorteile der Kryptographie sowie die Sicherheit einer dezentralen Blockchain, ohne deren inhärenten Limitationen zu erben. Es hat – so zeigt der Vergleich mit den anderen Zahlungs-Infrastrukturen – spannende Eigenschaften, die eine Rolle im Zahlungsmix der Zukunft nahelegen. Ausserdem ist Lightning offen, einfach zu integrieren und hochgradig standardisiert. Unternehmen können Nutzererfahrungen bieten, die sich bereits ähnlich anfühlen wie für Nutzer in der privilegierten Schweiz.