Der Hobby-Historiker der Finance Bros

Ich habe Schmerzen, wirkliche Schmerzen! Da habe ich mich überreden lassen, nochmal ein Produkt aus der Feder Ray Dalios zu konsumieren, nachdem ich einige seiner Artikel vor Jahren gelesen und für Quatsch befunden habe. Immerhin ist er eine populäre Stimme, ein erfolgreicher Investor und behandelt Themen wie Geschichte, Geldtheorie und Wirtschaft, für die ich brenne. 

Also gab ich mir sein Video zu “Principles for Dealing with a Changing World Order”. Und ich bin immer noch zu blind für des Kaisers neue Kleider. Da wird aus der Intuition jedes möchtegern tiefen Denkers – dem “Früher war alles besser” – ein Naturalismus steigender und fallender Weltreiche konstruiert, dass es von willkürlichen Linien und Kurven nur so wimmelt, welche doch stets die einfache Conclusio untermauern: Die USA sind im Niedergang begriffen. Von dieser Hiobs-Botschaft beunruhigt, möge das durchschnittlich ahnungslose youtube-Publikum dann mit gespitzen Ohren im Schneidersitz um Opa Rays Bergère sitzen.

Dieser referiert sodann über steigende und fallende Weltreiche, von den alten Indern bis zu den USA. Jeder, der um Geschichte bisher nicht einen weiten Bogen gemacht hat, wird erkennen, dass die von Dalio angeführten Mächte (bis auf das Vereinigte Königreich vielleicht) selbst in ihrer Blüte nicht auch nur annähernd solch eine global dominante Position innehatten wie die USA heute. Indien und China waren niemals Weltreiche. Teils, weil die Transportmittel noch nicht so weit entwickelt waren. Teils aber auch aufgrund ihrer sehr nach innen gerichteten Kultur. Wo ist denn der Alexander Chinas, der fremde Länder erobert hat? Wo ist denn folglich die globale Dominanz Chinas? Klar, es ist ein riesiges Reich. Während Jahrhunderten war es wahrscheinlich die wirtschaftlich stärkste Nation. Doch war die Welt damals nicht verbunden. China war eine bedeutende Regionalmacht, doch ein paar hundert Kilometer jenseits seiner Grenzen war es unbekannt. Auch Deutschland zählt Dalio zu den Weltreichen. Also entweder er meint mit empire einfach grosse Staaten – dann frage ich mich jedoch, wo Brasilien, Südafrika, Mali zur Zeit Mansu Musas, die Inka, das KK-Reich,  uvm. sind – oder er vergleicht tatsächlich das Deutschland mit seinen paar dutzend verlorenen Siedlern auf Sansibar mit dem Vereinigten Königreich oder den USA.

Ach und weil es so ins Schema passen muss, stellt dann jedes empire auch eine Weltleitwährung. Der holländische Gulden wird etwa im Video behandelt. Dabei weiss schon chatGPT: “Was the Dutch Guilder a Reserve Currency? – The guilder had characteristics of a reserve currency in the sense that it was widely used in international trade, held by merchants and governments, and accepted in financial centers beyond the Dutch Republic. However, unlike the modern U.S. dollar, the guilder was not the sole or overwhelmingly dominant currency. It coexisted with the Spanish real de a ocho, which was widely used in the Americas and Asia, and various local currencies remained in use across Europe. It controlled a significant portion of global trade in the 17th century, with estimates ranging from 40-50% of European overseas trade at its height. Given the dominance of Amsterdam as a financial center, it is likely that a substantial share of this trade—perhaps a third or more—was conducted in guilders. Marc Flandreau (The Glitter of Gold, 2004) notes that the guilder was commonly used in international transactions, particularly in intra-European trade, where Amsterdam’s financial institutions played a central role. However, outside Europe, silver—especially the Spanish dollar—remained dominant, particularly in trade with Asia and the Americas.” Wenn also der Gulden die Reserve-Währung im 17. Jahrhundert war, dann ist es der Euro heute.

Nun, ein Weiser wie Dalio steht selbstredend über solchen Nebensächlichkeiten wie historischer Akkuratheit. Muss er auch, will er doch die komplexe Weltgeschichte so vollkommen vergewaltigen, dass seine Bierdeckel-Theorie noch in das letzte von McKinsey-Slides verblödete Hirn passt. Da wird etwa die Gesundheit der Reiche über die Jahrhunderte gemessen anhand von Indikatoren wie Leadership Capabilities, Education Levels, Character / Determination, Rule of Law, Corruption, Resource Allocation Efficiency, sowie Openness to Global Thinking. Erneut: China war nie open to global thinking. Das zeigt ein echter Historiker wie David Landis in “The Wealth and Poverty of Nations” zur Genüge. Wirkliche Historiker unternehmen schwierige Berechnungen und führen hitzige Debatten, nur um vergleichsweise einfache Werte wie das GDP Grossbritanniens im 18. und 19. Jahrhundert zu bestimmen. Mögen sie ihre Recherchen doch abbrechen und stattdessen Dalio zu seinen Datenquellen befragen, der Werte für oben genannte Indikatoren für zahlreiche Weltreiche über Jahrtausende selbstsicher in exakte Grafen zeichnet.

Was soll das alles, Ray? Bist du einfach von China begeistert? China hat ein beeindruckendes Wachstum in den 70ern, 80ern und 90ern hingelegt, das hunderte Millionen aus der Armut gebracht hat. Aber spätestens seit Covid ist klar, dass es den wohl engen Korridor verpasst hat, um ein dominantes Weltreich zu werden. Seit 10 Jahren schrumpft die Erwerbsbevölkerung. Die Wirtschaft befindet sich in einer klassischen middle income trap. Wachstum wird hauptsächlich durch die Immobilien-Blase erzeugt – wie etwa Michael Pattis ausführt. Trotz zentralistischer Vorgabe wächst die Wirtschaft immer weniger. Die Scheuklappen, die Xi Xingping allem Denken, allem Sein in China aufzwingt, verlangen ihren Tribut. Oder wo ist denn der chinesische Ray Dalio, welcher Der Partei die Leviten liest und millionenfach Bücher über den Untergang der Nation schreibt?

Eine kleine Anekdote dazu, entlehnt aus Daron Acemoglus “Why Nations Fail”: Noch in den 80er Jahren führte das Standard-Werk für Makroökonomie von Nobelpreis-Träger Paul Samuelson aus, warum eine zentralistische Organsation dem Kapitalismus der Vereinigten Staaten überlegen sei. Die Sowjetunion hatte zu dieser Zeit über Jahrzehnte ein Wachstum von über 5% erzielt – das höchste je dokumentierte. Samuelson erklärte es mit der langfristigen Ausrichtung auf Basis der 5-Jahres-Pläne. In Wahrheit waren diese die Tinte nicht wert auf der sie geschrieben wurden. Stalin Willkür entschied wer was und wieviel produzierte. Das hohe Wachstum rührte aus dem zentralistischen Aufbau von schwerer Industrie im vormals agrarischen Sowjetreich. Nachdem diese monumentale Transformation von der Agrar- in die Industriegesellschaft vollzogen war, gab es keine Anreize mehr für weitere Innovation, die den status quo und damit die herrschende Elite hätten bedrohen können. Eigentumsrechte und somit Gewinnmöglichkeiten waren limitiert. Disruption bestehender Staatsunternehmen barg grosse Gefahren für Leib und Leben. China ist nicht Russland, aber Geschichte reimt sich oft.

Und selbst wenn, Ray, selbst wenn China bald grösste Wirtschaftsnation ist. Was bedeutet das überhaupt? In Europa waren es immerhin halbwegs ähnliche Nationen, die sich in Sachen globaler Dominanz abgelöst haben. England ist grössenmässig halbwegs vergleichbar mit Holland oder Spanien. Aber China? 1.4 Milliarden Menschen gegen 340 Millionen in den USA, 3 mal mehr. Genauso Indien: 1.44 Milliarden Menschen (mit besserer Demographie). Natürlich werden beide die USA einholen, einfach weil sie je ein Sechstel der Weltbevölkerung repräsentieren. Das macht sie aber noch lange nicht zu neuen Hegemomen, solange die Mehrheit der Chinesen und Inder ähnlich prekäre Reisschlucker sind wie die Nachbarn in Vietnam oder Bangladesh. Wie soll eine kulturelle Strahlkraft entstehen, die den USA die Stirn bieten könnte? Wie eine ökonomische Superiorität, welche die Europäer und Südamerikaner in die Arme der östlichen Mächte zwingt?

Und wenn das alles nicht überzeugt, so erlaube mir nur eine Observation: Wenn ein Amerikaner 10 Millionen hat, wo investiert er sie? – In den S&P 500. Wenn ein Chinese 10 Millionen hat, so versucht er sie zuerst unter Gefahr für Leib und Leben ausser Landes zu schaffen. Nur wenn das nicht klappt, kauft er eine Immobilie, weil sie der einzig halbwegs sichere Wertspeicher ist, den er erwerben darf. Den nationalen Aktienmarkt meidet er wie der Teufel das Weihwasser. Noch Fragen?

Du hast Recht, Ray: die USA haben ihren Zenit womöglich überschritten. Aber ist das überraschend? Im Zenit der Macht zu sein ist nicht so schwer, wenn man kurz zuvor Atombomben auf Japan geschmissen und Europa sich im schlimmsten Krieg der Menschheitsgeschichte gegenseitig dezimiert hat. Impliziert das aber, dass jetzt ein Nachfolger aufstreben wird um das Zepter zu übernehmen? Seit über 5 Jahren beschwörst du jetzt schon den Niedergang. Wenn ich damals auf dich gehört und Chinesische statt Amerikanische Aktien gekauft hätte, könnte ich mir jetzt statt einer Immobilie in Zürich höchstens eine in der chinesischen Provinz leisten.

Hier hast du mein Alternativ-Szenario, Ray: Die USA verlieren allmählich an wirtschaftlichem, militärischem und politischen Einfluss. China wird wohl ein höheres GDP als die USA ausweisen, aus genannten Gründen aber über den Status einer regionalen Macht nicht hinauskommen. Europa wird langsam darnieder siechen. Viel später wird Indien die grösste Volkswirtschaft – aus simplen demographischen Gründen. Inzwischen wird die Welt multipolarer – mit den USA als weiterhin mit Abstand wichtigste Macht. Der Dollar wird im globalen Handel auf absehbare Zeit seine Dominanz wahren. Doch der Wohlstand der Welt wird marginal seltener in Amerikanischen Staatsanleihen und mehr in neutralen assets (Gold, Bitcoin) investiert. Die Geldfunktionen brechen auseinander in Wertspeicher auf der einen und Tauschmittel auf der andern Seite. Alles was knapp ist auf der Welt und relativ frei handelbar wird im Wert steigern. Die Digitalisierung schafft Machtzentren über den Globus verteilt. Einige sind Städte wie Shanghai, andere Regionen wie das Silicon Valley, vielleicht dereinst El Salvador. Mache sind dezentral wie die Schweiz, andere von den Rockefellers der Digitalökonomie beherrscht wie das Imperium eines Musk.

Was hat diese Theorie deiner voraus, Ray? Nun, sie ist keine Prognose in die Zukunft. Sondern seit spätestens 2008 Realität. Sie ist das, was wir seit Jahren immer klarer sehen können. Wird Trump die De-Industrialisierung der USA stoppen können und so das Schicksal Spaniens zum Ende der Kolonialzeit abwenden, als das Gold aus den Kolonien alle reicht machte und niemand mehr arbeitete? Unwahrscheinlich. Wird Musk die Finanzen der USA retten? Sicher nicht, denn “nothing stops this train”. Wird die USA nur noch 10 oder noch 100 Jahre Hegemon sein? Ich weiss es nicht und es ist auch nicht wirklich so entscheidend.

Man gefällt sich als Finance Bro darin, ja sowieso zu wissen, dass die Welt untergeht. Das nichts bleibt wie es war. Dass die Welt ein böser Ort ist (denn immerhin muss der Finance Bro täglich um seinen langweiligen sinnlosen Job kämpfen, weil er ihm den Status verleiht, den er braucht für sein geringes Selbstvertrauen). Und natürlich gibt es den Zyklus aus Investition, Spekulation, Blase, und Crash. Doch wenn die USA kurz vor Stufe 3 sind, dann ist es China sicher auch. Und ausserdem funktioniert Geschichte nicht so rein nach Schablone, und die allumfassende (wirtschaftliche, militärische, kulturelle, wissenschaftliche) Dominanz der USA wird nicht einfach so in einem grossen crash verpuffen. So funktioniert das nicht, sorry Ray. “Das Ende wird am Ende bloss Bestandteil sein des Alltagslebens / Und die Menschheit wird mit keinem grossen Knall abtreten”!   

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